Kläranlagen: Industrie will nicht zahlen

Kläranlage Desden-Kaditz: Solche Anlagen – vor allem in Großstädten –sollen nach dem Willen der EU künftig auch Mikroschadstoffe wie Medikamentenreste und Mikroplastik besser filtern können.
Kläranlage Desden-Kaditz: Solche Anlagen – vor allem in Großstädten – sollen nach dem Willen der EU künftig auch Mikroschadstoffe wie Medikamentenreste und Mikroplastik besser filtern können.

VERANTWORTUNG. Das Abwasser, das in Flüsse, Seen und das Meer fließt, soll EU-weit sauberer werden. Statt jedoch Mikroplastik in Kosmetika wie Duschgels, Cremes oder Make-ups einfach zu verbieten, wie es Umweltverbände fordern, will die EU die Kläranlagen weiter aufrüsten. An den Kosten dafür soll sich die Industrie maßgeblich beteiligen. Die läuft Sturm gegen die Pläne und will sie mit Klagen zu Fall bringen.

Festes Mikroplastik in Zahnpasten oder anderen Produkten, in denen es eine abrasive Wirkung hat, ist seit 2023 verboten. Für herkömmliche Flüssigseifen, Duschgels & Co., in denen sein Einsatz nicht ausdrücklich einem Peeling-Effekt dient, gilt jedoch eine Übergangsfrist bis 2027. Stylingmittel für Haare dürfen allerdings noch bis 2029, Lippenpflegeprodukte, Nagellacke und Make-up bis 2035 festes Mikroplastik enthalten.1

Mikroplastik landet im Abfluss

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat 2021 rund 530 verschiedene Varianten dieser künstlichen Polymere eruiert, die in verschiedenen Kosmetikprodukten verwendet werden, vor allem Make-ups sind stark damit belastet.2 Beim Abwaschen landen all diese Produkte samt ihrem Mikroplastikgehalt am Ende im heimischen Abfluss. Für Konsumenten und Konsumentinnen sind die zahlreichen Mikroplastikvarianten auf den Zutatenlisten der Kosmetikprodukte kaum zu erkennen.

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt‑, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT macht das Problem deutlich. Darin schätzen die Experten die Menge allein von festem Mikroplastik in deutschen Abwässern auf 922 Tonnen pro Jahr, die Menge gelöster Polymere – also gelartiges oder flüssiges Mikroplastik – dagegen auf 23.700 Tonnen.3

In Kläranlagen können zumindest von festem Mikroplastik rund 90 Prozent zurückgehalten werden, der Rest fließt in die Flüsse. Der mit Mikroplastik belastete Klärschlamm landet allerdings zum Teil immer noch als Dünger auf den Feldern. Für die Vielzahl der gelartigen und flüssigen Mikroplastikvarianten sind bislang praktisch keine Daten verfügbar. Auch ihr Nachweis im Abwasser ist nicht ganz trivial.

Kläranlagen sollen’s richten

Umweltverbände fordern seit Jahren ein generelles Verbot von Mikroplastik in Kosmetika und zwar egal, ob es in fester, gelartiger oder flüssiger Form vorliegt.4 Die Überlegung dahinter ist klar: Was gar nicht erst ins Abwasser gelangt, muss später auch nicht mit großem Aufwand wieder herausgefiltert werden. Genau das plant jedoch die Europäische Union (EU) mit ihrer Anfang 2025 in Kraft getretenen Kommunalen Abwasserrichtlinie (KARL).5

Danach sollen die Kläranlagen zunächst vornehmlich in großen Städten bis 2045 mit einer vierten Klärstufe versehen werden, die Rückstände sowohl von kosmetischen Produkten als auch solche von Arzneimitteln besser herausfiltern kann. Immerhin landet das aufbereitete Wasser aus dem Kanal in Flüssen, Seen, im Erdreich und im Meer. Die Pharma- und die Kosmetikindustrie, so die Richtlinie, sollen sich mit mindestens 80 Prozent an den nötigen Investitionen für die Aufrüstung der Abwasserreinigung beteiligen.

Die geschätzten Kosten dafür gehen in die Milliarden. Die Wasserwirtschaft rechnet in den kommenden zwei Jahrzehnten mit neun Milliarden Euro, die Pharma- und Kosmetikbranche mit 60 Milliarden Euro.6

Kosmetikindustrie klagt, Pharmabranche droht

Dagegen setzt sich nun die Industrie zur Wehr. Mehrere Unternehmen und Verbände der Arzneimittelbranche haben im Frühjahr 2025 Klage eingereicht, zudem der Kosmetiklobbyverband Cosmetics Europe mit Unterstützung des deutschen Industrieverbands Körperpflege- und Waschmittel e. V. Die Verbände der Wasserwirtschaft sowie die Interessenvertretungen von Städten und Gemeinden pochen ihrerseits auf die Umsetzung der Richtlinie.7

Die Anstrengungen der Industrielobby zeitigen bereits Früchte. Das EU-Parlament, das die Richtlinie 2024 noch mit überwältigender Mehrheit gestützt hatte, fordert nun ebenfalls eine «Neubewertung».8 Auch die Konferenz der deutschen Ländergesundheitsminister hat sich dieser Forderung angeschlossen.9

Die Arzneimittelindustrie droht öffentlich, bei einer Umsetzung der Richtlinie Medikamente wie das Antibiotikum Amoxicillin, den zur Behandlung von Diabetes eingesetzte Wirkstoff Metformin und das Brustkrebsmedikament Tamoxifen entweder vom Markt zu nehmen oder zu verteuern.10

Der Bumerang der «Technologieoffenheit»

Zumindest im Fall von Kosmetik und Mikroplastik zeigt sich am Streit um die Abwasserrichtlinie ein weiteres Mal, dass die Folgen technologischer «Innovationen» (feste, flüssige und gelartige Polymere in Kosmetika), die sich als umweltschädlich erweisen, nicht so einfach durch weitere neue Technologien (aufgerüstete Klärwerke) wieder «geheilt» werden können. Selbst wenn die Abwasserreinigung wie geplant bis 2024 perfektioniert würde, flössen bis dahin noch zwei weitere Jahrzehnte lang Schadstoffe in die Flüsse.

Die Mikroplastikproblematik reiht sich damit ein in die lange Liste von Kollateralschäden, die bereits die Entwicklung synthetischer Tenside für die modernen Waschmittel seit den 1930er Jahren verursacht hat.11 Diese künstlichen, teils aus Erdölprodukten hergestellten Tenside sind die Basis auch für Flüssigseifen und Duschgels, die die rasch und leicht biologisch abbaubare klassische Seife aus Fetten und Lauge im Massenmarkt inzwischen fast vollständig ersetzt haben.

Auf Verbote wird meist verzichtet

Immer wieder hat sich die Politik «technologieoffen» gezeigt, auf rasche Verbote verzichtet, egal ob Flüsse dank neuer Waschmitteltenside schäumten oder Seen wegen Phosphaten umkippten. Stattdessen wurden die Kläranlagen jahrzehntelang auf Kosten der Allgemeinheit immer weiter ertüchtigt, um die Kollateralschäden der neuartigen eingesetzten Stoffe nachträglich zu «heilen». Für Mikroplastik, so zeigt sich, reicht die installierte Technologie der Abwasserreinigung nach wie vor nicht aus. Dennoch setzt die Politik diesen Weg unbeirrt fort.

Diese Tendenz wird sich absehbar unter der aktuellen EU-Kommission noch beschleunigen. Der Verein Lobby Control warnt davor, dass die EU-Politik nach dem Rechtsruck bei den jüngsten Wahlen noch industriefreundlicher werden und sowohl Verbraucherschutz als auch Umweltgesetzgebung verwässern könnte: «Eine beispiellose Welle droht Europas Gesetze und Schutzregeln abzuschwächen und den Gesetzgebungsprozess anfälliger für einseitigen Lobbyeinfluss von Konzernen zu machen.»12

Unterdessen beweisen die Naturkosmetik- und klassischen Seifenhersteller, dass es Mikroplastik für gute Produkte überhaupt nicht braucht.

[Stand: Juli 2025]

Bildnachweis:

Jörg Blobelt, licensed unter Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0, cropped

Quellen:

  1. Frey, Wolfgang: «Die Renaissance der Seife», Heiligkreuz, 2025, S. 105. ↩︎
  2. Ebd. ↩︎
  3. Ebd., S.104. ↩︎
  4. Bündnis Exit Plastik, getragen u.a. vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. und Greenpeace: «Mikroplastik. Positionspapier», online unter https://exit-plastik.de/wp-content/uploads/2022/03/Positionspapier-Mikroplastik_Wege-aus-der-Plastikkrise_Web.pdf, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  5. RICHTLINIE (EU) 2024/3019 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. November 2024 über die Behandlung von kommunalem Abwasser, online unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202403019, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  6. Deutschlandfunk: «Pharmaindustrie sieht gravierende Auswirkungen – Wasserwirtschafts-Verband: Branche muss sich an Umweltkosten beteiligen», online unter https://www.deutschlandfunk.de/pharmaindustrie-sieht-gravierende-auswirkungen-wasserwirtschafts-verband-branche-muss-sich-an-umwelt-104.html, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  7. Deutsche Apotheker Zeitung: «Streit um KARL: Wasserwirtschaft und kommunale Unternehmen wollen sich an Rechtsstreit beteiligen», online unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2025/07/11/streit-um-kosten-fuer-abwasserreinigung-tobt-vor-eu-gericht, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025; Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V.: «IKW lehnt Novelle der Kommunalabwasserrichtlinie in der vorliegenden Form ab und unterstützt Cosmetics Europe bei der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof», online unter https://www.ikw.org/schoenheitspflege/wissen/ikw-lehnt-novelle-der-kommunalabwasserrichtlinie-in-der-vorliegenden-form-ab, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  8. Deutsche Apotheker Zeitung: «EU-Kommission soll Folgen der Abwasserrichtlinie neu bewerten», online unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2025/05/08/eu-kommission-soll-folgen-der-kommunalabwasserrichtlinie-neu-bewerten und Deutsche Apotheker Zeitung: «Abwasseraufbereitung: Produzenten sollen mindestens 80 Prozent zahlen», online unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/04/15/produzenten-sollen-mindestens-80-prozent-zahlen, jeweils zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  9. Deutsche Apother Zeitung: «Gesundheitsministerkonferenz fordert Nachbesserungen bei Abwasserrichtlinie», online unter https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2025/06/18/gesundheitsministerkonferenz-fordert-nachbesserungen-bei-abwasserrichtlinie, zuletzt aufgerufen am 17. Juli 2025. ↩︎
  10. Deutschlandfunk, a.a.O. ↩︎
  11. Vgl. dazu ausführlich Frey, Wolfgang: «Die Renaissance der Seife», Heiligkreuz, 2025, S. 82ff. ↩︎
  12. Lobby Control, Initiative für Transparenz und Demokratie e.V.: «Lobbyismus in der EUWeniger Regeln, mehr Einfluss: Wie Europas Schutzstandards unter Druck geraten», online unter https://www.lobbycontrol.de/lobbyismus-in-der-eu/weniger-regeln-mehr-einfluss-wie-europas-schutzstandards-unter-druck-geraten-121846/, zuletzt aufgerufen am 30. Juli 2025. ↩︎

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