Seife, Autofahren und das Licht im Flur

Je alltäglicher und selbstverständlicher etwas ist, umso weniger machen wir uns gemeinhin Gedanken darum. Und je mehr sich so ein Ding auch noch in unsere täglichen, gut eingeübten Routinen einfügt, umso kleiner wird der Impuls, so ein Ding überhaupt zu hinterfragen. Deshalb fällt es beispielsweise vielen Menschen auch so schwer, zur Fortbewegung etwas anderes als das Auto zu benutzen oder zum Stromsparen das Licht im Flur auszuschalten. Die Seife gehört zu den alltäglichsten, selbstverständlichsten und bestens in unsere Routinen integrierten Dingen überhaupt. Gerade weil wir sie so oft – und selbst in den intimsten Momenten – in der Hand haben, sollten wir sie ein bisschen besser kennen als eine flüchtige Saunabekanntschaft.

Ich selbst habe viele Jahre überhaupt keinen Gedanken an die Seife verschwendet. Ich habe sie vor allem nach dem Duft ausgewählt. Dass die meisten Seifen im Supermarkt aus Schlachtabfällen oder Palmöl bestehen und dazu noch allerlei zweifelhafte Zusätze enthalten, wusste ich nicht. Es stand zwar hinten auf der Packung, aber wer macht sich schon die Mühe, das Kleingedruckte zu lesen, geschweige denn, wenn es aus englischen und lateinischen Begriffen versteht, für die man besser Chemie studiert hätte?

Chemie studieren muss man seltsamerweise offenbar zum Lesen der Zutatenlisten, aber nicht um Seife selbst herzustellen. Das ist ganz einfach und erfordert im Prinzip nur Zutaten aus jedem beliebigen Lebensmittelladen, einen Topf, etwas Lauge, einen Pürierstab, Gummihandschuhe und eine Schutzbrille. Rezepte gibt es heute in unzähligen Büchern und auf ebenso vielen Internetseiten. Seit ich damit angefangen habe, habe ich mich näher nicht nur mit der Seife, ihrer Chemie und ihrer Geschichte beschäftigt, sondern auch mit den Zutatenlisten der Fabrikseifen.

Welche Seife ist die «richtige»?

Heute bin ich überzeugt, dass die Seife im besten Fall eine bewusst gewählte Begleiterin unserer täglichen Routinen am Waschbecken, in der Badewanne oder unter der Dusche sein sollte. Eine, die für uns selbst und unsere Haut die «richtige» ist und uns gut tut. Denn das kann eine Seife tatsächlich, sei es durch ein gutes Gefühl beim Verwenden, einen inspirierenden Duft oder eine spürbar gute Pflege unserer Haut. Und die Auswahl an Seifen war noch nie so groß wie heute.

Die bewusste, die «richtige» Wahl zu treffen, erfordert etwas Wissen, in diesem Fall Seifenwissen. Das braucht es auch, um die Motive zu erkennen, die hinter der anhaltenden Diskreditierung der Seife durch die Kosmetikindustrie stehen, die uns lieber die viel lukrativeren Errungenschaften ihrer Chemielabore verkaufen möchte: sogenannte Flüssigseifen und Duschgels auf Basis synthetischer Tenside. Echte Seifen werden zu diesem Zweck nur zu gerne implizit als «Keimschleudern» gebrandmarkt oder es wird insinuiert, sie «zerstörten» den «Säureschutzmantel».

Das Internet läuft förmlich über von solchen zweifelhaften Behauptungen, ebenso die allgegenwärtigen Online-Plattformen überseeischer Milliardenkonzerne, in denen «Influencer» im Dienst der Industrie beliebige Kosmetikprodukte in die Kamera halten und anpreisen. Gerade in einer Zeit, die mit Recht teils schon als «postfaktisch» beschrieben wird, tut es Not, Mythen und Tatsachen zu unterscheiden, nicht nur im Fall der Seife, aber eben auch da. Dafür gibt es diese Seite.

Wolfgang Frey
Journalist, Autor, Publizist und Gründer der Heiligkreuzer Seifenmanufaktur