
INTERVIEW. Das Schweizer Online-Magazin «Qultur.ch» fragt nach: Warum braucht es ein Buch über einen unspektakulären Alltagsgegenstand wie Seife, den doch jede und jeder im Badezimmer hat und den alle gut kennen? Wolfgang Frey, der Autor des Buchs «Die Renaissance der Seife», meldet Zweifel an: So gut, meint er, kennen wir die Seife gar nicht.
Seife ist mehr, als wir denken
Seife ist so alltäglich, dass wir kaum darüber nachdenken. Das neue Buch des Journalisten Wolfgang Frey «Die Renaissance der Seife» – gemeint ist die feste, nicht die flüssige – widmet sich ausführlich dieser alltäglichen Selbstverständlichkeit. Im Interview erläutert er, warum das durchaus Sinn macht.
Christian Imhof / 15.07.25
Knapp 300 Seiten über einen profanen Alltagsgegenstand wie Seife, den doch jede und jeder aus mehrfach täglicher Anschauung bestens kennt – warum braucht es ein solches Buch?
Wie gut kennen Sie denn selbst Ihre Seife im Badezimmer?
Naja, ziemlich gut, denke ich. Ich weiss, dass sie funktioniert, gut riecht. Muss ich mehr wissen?
Vielleicht, weil Sie mit der Auswahl Ihrer Seife auch eine Verantwortung tragen. Für sich selbst, ihre Haut, aber auch für den Planeten, die Regenwälder, die Tierhaltung, das Artensterben, das Klima.
Bei der Auswahl einer Seife?
Nicht nur bei der Auswahl einer Seife. Eigentlich bei allen Dingen, die wir für selbstverständlich halten, denn gerade über die denken wir im Allgemeinen am wenigsten nach. Und es sind unsere unhinterfragten Gewohnheiten, die uns oft in eine Richtung treiben, ohne dass uns überhaupt bewusst ist.
Zum Beispiel?
Um bei der Seife zu bleiben: Warum stehen im Supermarkt gleich neben den Duschgels und Flüssigseifen regelrechte Batterien von Körperlotionen und Handcremes?
Verraten Sie es mir.
Ich kann da nur Vermutungen anstellen. Ich weiss aus eigener Erfahrung, das ich früher im Winter, wenn die Luft trocken ist und ich in den Ferien in der Gastronomie ständig auf Flüssigseifen in den Waschräumen traf, schon nach ein paar Tagen teils blutig aufgesprungene Hände hatte und dann in die Drogerie gegangen bin, um diese norwegische Handcreme zu kaufen, um noch ein paar angenehme Tage zu verbringen. Seit ich auch unterwegs nur noch natürliche kaltgerührter Seife verwende, habe ich dieses Problem nicht mehr.
Aber Seife ist doch basisch und zerstört den Säureschutzmantel der Haut. Sagt Ihnen jeder Hautarzt.
Stimmt. Warum das so ist, können Sie im Buch nachlesen und das ist dann eine der Antworten auf Ihre Eingangsfrage. Die Kurzfassung: Die gängigen Flüssigprodukte bestehen aus Wasser und teils erdölbasierten künstlichen Tensiden, die tendenziell austrocknend auf die Haut wirken. Sie sind allerdings viel lukrativer für die Industrie als die klassischen Seifen. Eine Studie sprach in den 1920er Jahren erstmals von einem «Säuremantel» der Haut, der neben anderen Elementen der gesunden Hautflora auch eine Schutzfunktion erfüllt. Ein findiger deutscher Unternehmer machte daraus «Säureschutzmantel», um seine viel teureren synthetischen Produkte zu verkaufen. Eine Steilvorlage für die Seifenindustrie, die diese Erzählung nur zu gerne übernommen hat. Die austrocknende Tendenz dieser Produkte hat ihnen zugleich mit zahllosen Bodylotionen und Cremes einen zusätzlichen Absatzschub beschert.
Immerhin sind es ja aber Mediziner, die vor basischer Seife warnen.
Warum Hautärzte auf die PR-Initiativen milliardenschwerer Kosmetikkonzerne hereinfallen, müssen Sie bitte in den Universitäten nachfragen. Wir sind heute soweit, dass Autoren dermatologischer Fachliteratur eindringlich vor Seife warnen und gleichzeitig unterstreichen, man solle sich nach jedem Waschen mit den favorisierten Flüssigprodukten eincremen. Bevor es die Flüssigprodukte gab, wäre niemand auf so eine Idee gekommen. Wir sprechen von Jahrhunderten.
Eine Verschwörung also gegen die echte basische Seife?
Nein, keineswegs. So funktioniert Marktwirtschaft. Sie haben ein Produkt, wollen es verkaufen und lobbyieren so lange dafür, bis es selbstverständlich ist, dass es besser als alles andere sei und alle das glauben. Und wenn durch die vergleichsweise aggressiven synthetischen Tenside eine unbeabsichtigte Nebenfolge wie stark entfettete, trockene Haut entsteht – darüber klagt in Umfragen inzwischen ein Drittel der Bevölkerung und Hautkrankheiten nehmen immer mehr zu – dann verkaufen Sie dazu eben Lotionen und Cremes. Und die Kasse klingelt erst recht. Das ist die Logik unseres Wirtschaftssystems.
Sie sprachen zuvor auch von «Verantwortung für den Planeten», das hat mit trockener Haut ja aber nichts zu tun.
Nein, es hat etwas damit zu tun, dass die synthetischen Tenside im Zuge ihrer Entwicklung durch die Seifen- und Waschmittelindustrie über Jahrzehnte zu grossen Umweltschäden geführt haben. Die Politik hat sehr sehr lange zugesehen, wie Flüsse verschmutzt wurden und Seen umgekippt sind. Einigermassen in den Griff bekommen hat man das Problem der künstlichen Tenside vor allem durch eine massive Aufrüstung der Kläranlagen. Heute sind sie tatsächlich umweltverträglicher, aber das hat gedauert. Heute ist gelartiges und flüssiges Mikroplastik ein Problem in vielen der flüssigen Produkte, dafür gibt es aktuell keine gesetzliche Regelung.
Und die klassische Seife?
Ist plastikfrei und baut sich binnen weniger Tage ganz natürlich biologisch ab. Was daran liegt, dass sie aus natürlichen Fetten und Lauge besteht, wobei letztere ebenfalls aus Naturprodukten hergestellt werden kann. Wäre das nicht so, hätte man nicht schon im siebten Jahrhundert Seifen machen können, wie wir sie heute noch kennen, Seifen nach Art der «Marseiller Seife», der «Alepposeife» oder der klassischen mitteleuropäischen Kernseife. Die sind alle in Kürze vollständig biologisch abbaubar.
Aber Kernseife macht ja auch eher trockene Haut.
Das stimmt. Sie entfettet sehr stark und eignet sich daher prima zum Putzen und zum Wäschewaschen. Deutlich pflegender sind kaltgerührte, sogenannte Naturseifen, die es erst seit ein paar Jahrzehnten gibt. Ein Trend, angestossen von engagierten Frauen, die meist im Nebenerwerb begonnen haben, Seife zu rühren. Diese Seifen sind überfettet und deutlich hautfreundlicher als die angebotenen Industrieseifen. Es ist das Verdienst dieser Pionierinnen, dass es heute – teils sogar in Drogerieketten – solche Seifen gibt, die besser sind als all die Jahrhunderte zuvor. Im Buch erkläre ich ausführlicher, warum und wieso.
Das erklärt noch nicht, was Seife mit dem Artensterben, den Regenwäldern und dem Klima zu tun haben sollte.
Da müssen wir wieder auf die Industrie schauen. Die hat traditionell die billigsten Fette verwendet und tut das bis heute. Das können Sie am Preisschild auf einer solchen Seife selbst leicht nachvollziehen. Bevorzugte Fette sind bis heute Rindertalg aus Massentierhaltung und Palmöl, für dessen Gewinnung verbreitet Regenwälder abgeholzt werden. In der Zwischenkriegszeit waren beispielsweise in Deutschland Fette derart knapp, dass Seifenproduzenten wieder in den Walfang einstiegen und massgeblich zur Fast-Ausrottung der Großwale beigetragen haben. Deutschland war unter den Nationalsozialisten die drittgrösste Walfangnation der Welt. Seit der Erfindung der Fetthärtung Anfang des 20. Jahrhunderts konnte man Waltran auch problemlos für Seife und Margarine verwenden, was vorher wegen des Geruchs unmöglich war.
Also hat auch die klassische Seife ihr Sündenregister?
Absolut. Und auch dafür gibt es ein ausführliches Kapitel im Buch. Ich betrachte die klassische feste Seife darin ebenso kritisch wie die zeitgenössischen Flüssigprodukte. Daher thematisiere ich ebenfalls, wie vor der Verwendung von Waltran ein Jahrhundert zuvor Palmöl aus Afrika und Baumwollsamenöl aus den Südstaaten der USA unter Ausnutzung der Bedingungen von Sklaverei und Zwangsarbeit zum Fluktuieren der damaligen Seifenindustrie beigetragen haben. All das gehört zu den selten erzählten und gerne verdrängten Geschichten rund um diesen selbstverständlich gewordenen und gar profanen Alltagsgegenstand Seife. Genau deshalb braucht es dieses Buch.
Verstehe. Jetzt stehe ich aber im Laden vor dem Seifenregal und frage mich, welche soll ich jetzt nehmen? Das Kleingedruckte hintendrauf klingt nach Latein, Englisch und technischen Fachbegriffen.
Exakt. Deshalb gibt es im Buch ein eigenes Kapitel dazu. Damit sind Sie in der Lage, feste Seifen zu beurteilen. Sie werden erkennen können, ob es sich um eine Industrieseife oder eine handwerklich hergestellte handelt und vor allem, aus was sie genau besteht, damit Sie selbst bewusst entscheiden können. Denn genau darum geht es. Damit Sie ihre Seife im Badezimmer tatsächlich kennen.
[15. Juli 2025]
Titel: «Die Renaissance der Seife. Verleumdung, Verflüssigung, Wiederkehr. Mit einem Vorwort von Martina Irzik»
Verfasser: Wolfgang Frey
Ausführung Schweiz: Gebundene Ausgabe, 13x19cm, 288 Seiten, ISBN: 9783952620304, Preis (UVP): 36 Franken
Ausführung Deutschland/Österreich: Broschierte Ausgabe, 13x19cm, 288 Seiten, ISBN: 9783952620311, Preis: 24 Euro (D), 24,70 (A)
Verlag: Heiligkreuzer Seifenwissen, im Schweizer Buchhandelsvertrieb des Qultur-Verlags, in der EU im Print-on-demand-Vertrieb der tredition GmbH
Erscheinungsdaten: 2. Juni 2025 (Schweiz), 2. September 2025 (EU)
Buchproduktion: gutzumdruck.com
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Weitere Bestellmöglichkeiten (Deutschland, Österreich, Schweiz):
Das Buch ist europaweit überall im Buchladen oder beim Online-Versender Ihres Vertrauens erhältlich.
Stichworte aus dem Inhalt: Feste Seife, Flüssigseife, Kernseife, Feinseife, Naturseife, kaltgerührte Seife, Rasierseife, Schmierseife, Haarseife, Salzseife, Soleseife, Waschmittel, Tenside, Hautverträglichkeit, Hygiene, Umwelt, biologische Abbaubarkeit, Mikroplastik, Geschichte der Seife, Kolonialismus, Sklaverei, Zwangsarbeit, Chemie der Seife, Fette, Lauge, Glyzerin, Kalk, Aussalzen, Fettspaltung, Fetthärtung, Fettsäuren, Soda-Verfahren nach Solvay und Leblanc, Fettlücke, Walfang, Palmöl, INCI-Standard, Deklaration von Kosmetik


